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Es ist erstaunlich, wie dumm sich Menschen in einer Gruppe verhalten können, insbesondere wenn sie ihren Führern bedingungslos folgen.
Status: Die Ansichten der Bene Gesserit,
Sämtliche Zustände sind Abstraktionen
Ohne Vorwarnung traf die imperiale Flotte vor dem Korona-Satelliten ein und führte den nächsten Schlag in Shaddams Großem Gewürzkrieg. Mit acht Kampfkreuzern und voll bewaffneten Fregatten war diese Machtdemonstration sogar noch furchterregender als der Überfall, bei dem alle größeren Städte Zanovars ausgelöscht worden waren.
Die Militärschiffe näherten sich dem künstlichen Mond, um die Sachlage vor Ort zu untersuchen. Über Funk gab Oberbashar Zum Garon das Ultimatum bekannt: »Wir sind auf Befehl des Padischah-Imperators hier. Sie, das Haus Richese, werden beschuldigt, einen nicht gemeldeten Melangevorrat zu besitzen, was nach der Rechtsprechung des imperialen und des Landsraad-Gerichtshofes verboten ist.« Dann wartete der zähe Kommandant auf eine Reaktion. Wollen wir doch mal sehen, wie schuldbewusst sie sich benehmen.
Verzweifelte Bitten um Nachsicht wurden von den Korona-Sendern abgestrahlt, und kurz darauf kamen fast gleich lautende Appelle von der Regierung des Richese-Planeten.
Der Oberbashar stand auf der Brücke des Flaggschiffs und starrte nach draußen. Er ging auf keinen der Rufe ein, sondern sprach unerbittlich in das Kommunikationssystem. »Auf Befehl Seiner Ehrfurcht gebietenden Majestät Shaddam IV. werden wir nach geschmuggelter Melange suchen. Falls wir fündig werden, wird das Gewürz konfisziert und die Korona-Station vernichtet. So hat es der Imperator befohlen.«
Zwei Kampffregatten flogen in die Hangars des künstlichen Labortrabanten ein. Die richesischen Narren versuchten, die Türen der Luftschleusen zu versiegeln, worauf zwei Kreuzer auf andere Hangartore feuerten. Luft, Fracht und Leichen wirbelten durch den Weltraum.
Als die Andockklammern zugriffen und Schneidwerkzeuge die verschlossene Hülle des Mondes öffneten, sendete Garon eine weitere Warnung: »Wir werden mit extremen Maßnahmen auf jeden Widerstand reagieren. Sie haben genau zwei Stunden Zeit, um Korona zu evakuieren. Falls wir Beweise finden, die die Auslöschung dieser Einrichtung rechtfertigen, wird jede Person, die sich zu diesem Zeitpunkt noch an Bord befindet, sterben.«
Garon verließ die Brücke und bestieg einen Lift, der ihn zum Landungsdeck hinunterbrachte. Korona besaß keine ausreichende Verteidigung, um den Sardaukar Widerstand leisten zu können. Niemand besaß sie.
Der Veteran führte ein komplettes Regiment in das Orbitallabor. In den Metallkorridoren hallten Alarmsirenen und blinkten rote Lichter. Wissenschaftler, Techniker und Laborarbeiter hasteten zu den Evakuierungsschiffen. An einem wichtigen Knotenpunkt winkte der Oberbashar seinen Soldaten, einzelne Gruppen zu bilden und mit der Suche zu beginnen.
Allen war bewusst, dass vielleicht einige Angestellte gefoltert werden mussten, um den Aufbewahrungsort des Gewürzes in Erfahrung zu bringen.
Ein Mann mit gerötetem Gesicht schoss wie eine Kanonenkugel aus einer Liftröhre, die ihn aus dem Verwaltungstrakt zur Vorhut der Sardaukar gebracht hatte. Er wedelte mit den Armen. »Das können Sie nicht tun! Ich bin Flinto Kinnis, der Direktor dieses Labors, und ich sage, dass zwei Stunden zu wenig sind. Wir haben nicht genügend Schiffe. Allein wegen der Menschen müssen wir zusätzliche Schiffe von Richese anfordern, ganz zu schweigen vom Forschungsmaterial. Es würde mindestens einen Tag dauern, die Station zu evakuieren.«
Garons ledriges Gesicht zeigte keine Spur von Mitgefühl. »Der Imperator ist nicht gewillt, irgendeinen Widerspruch oder Widerstand gegenüber seinen Befehlen zu dulden.« Er nickte seinen Soldaten zu, die das Feuer eröffneten und den schockierten Bürokraten töteten, als er gerade zu weiteren Einwänden ansetzen wollte.
Die Truppen drangen tiefer in das riesige Orbitallabor vor.
Im Verlauf eines Abendessens unter vier Augen hatte Shaddam seinen Oberbashar ins Vertrauen gezogen und ihm seine Absichten erklärt. Der Imperator war sich bewusst, dass bei diesem Angriff viele Zivilisten sterben würden, und er war bereit, nach Zanovar ein weiteres Mal drastisch durchzugreifen, bis seine Herrschaft gefestigt war.
»Das Einzige, was ich verlange«, hatte Shaddam gesagt und einen Finger erhoben, »ist, dass Sie sämtliches geschmuggeltes Gewürz beschlagnahmen, das Sie finden können. Je höher die Belohnung für die Gilde und die MAFEA ausfällt, desto leiser werden sie sich beschweren.« Er hatte zufrieden mit seiner Planung gelächelt. »Dann setzen Sie Atomwaffen ein, um die ganze Station zu zerstören.«
»Herr, der Einsatz von Atomwaffen verstößt ...«
»Unsinn. Wir geben ihnen die Chance, die Station zu evakuieren. Dann vernichte ich lediglich einen Metallhaufen im Weltraum. Wie ich gehört habe, soll Korona ein regelrechter Schandfleck im Orbit sein.« Zu Shaddams Enttäuschung hatte Garon noch nicht völlig überzeugt gewirkt. »Machen Sie sich keine Gedanken wegen juristischer Details, Bashar. Was ich mit dieser Aktion ausdrücken will, lässt sich am effektivsten mit nuklearen Sprengsätzen demonstrieren. Das wird den Landsraad nachhaltiger einschüchtern als tausend zaghaftere Warnungen.«
Zum Garon hatte viele harte Jahre auf Salusa Secundus verbracht und in der Ecazi-Revolte gekämpft. Er wusste, dass die Befehle des Imperators ausgeführt und nicht hinterfragt wurden. Und er hatte seinen begabten Sohn Cando in der gleichen Überzeugung erzogen.
Nach einer halben Stunde machte sich die erste Gruppe von Evakuierungsschiffen auf den Weg zur Oberfläche. Wissenschaftler rafften hastig Berichte und unersetzliche Notizen über ihre Forschungsprojekte zusammen. Doch viele, die ihre Zeit mit dem Einsammeln solcher Dinge vergeudeten, mussten feststellen, dass sie festsaßen, nachdem alle verfügbaren Shuttles abgeflogen waren.
Im Triadenzentrum brüllte Premierminister Ein Calimar machtlos in das Komsystem und forderte, dass man ihm genügend Zeit ließ, sich mit dem Gerichtshof des Landsraads in Verbindung zu setzen. Neben ihm rang Graf Richese die Hände und flehte um Gnade, ohne etwas bewirken zu können. Gleichzeitig ließen die Richesianer Rettungsschiffe von der Oberfläche starten, obwohl die Zeit allmählich knapp wurde. Der Anführer der Sardaukar bezweifelte, dass sie rechtzeitig eintreffen würden.
Die Truppen durchwühlten die Labors und Lagerräume und suchten nach den angeblichen Melangevorräten. In der Nähe des gepanzerten Kerns von Korona begegneten sie zwei aufgeregten Wissenschaftlern, der eine mit kahlem Schädel und hängenden Schultern und der andere mit hin und her huschenden Augen, als würde sein Geist auf Hochtouren arbeiten.
Der zweite Wissenschaftler trat vor und versuchte zu beschwichtigen. »Herr, ich arbeite an einem sehr wichtigen Forschungsprojekt, und ich muss all meine Notizen und mehrere komplizierte Prototypen in Sicherheit bringen. Diese Arbeit lässt sich an einem anderen Ort nicht ohne weiteres fortsetzen, und sie wird erhebliche Auswirkungen auf die Zukunft des Imperiums haben.«
»Abgelehnt.«
Der Forscher blinzelte, als glaubte er sich verhört zu haben.
Der kahlköpfige Mann an seiner Seite kniff die Augen leicht zusammen. »Lassen Sie mich sprechen.« Er deutete auf einen Stapel verschlossener Kisten und ein paar Arbeiter, die mit Antigravschlitten daneben standen und nicht wussten, wohin sie die Fracht bringen sollten. »Oberbashar, mein Name ist Talis Balt. Mein Kollege Haloa Rund hat die Bedeutung unserer Arbeit keineswegs untertrieben. Schauen Sie sich dieses wertvolle Material an. Sie dürfen nicht zulassen, dass es vernichtet wird.«
»Ist es Melange?«, fragte Garon. »Ich habe den Befehl, sämtliches Gewürz zu beschlagnahmen.«
»Nein, Herr. Es sind richesische Spiegel, die fast so kostbar wie Gewürz sind.«
Der Offizier schürzte die Lippen. Mit winzigen Chips aus richesischen Spiegeln ließen sich extrem leistungsfähige Scanner betreiben. Diese Menge an Reflektoren reichte aus, um einen industrialisierten Planeten mit Energie zu versorgen.
»Talis Balt, ich muss Ihnen zu meinem Bedauern mitteilen, dass Ihr Direktor bei dieser Aktion ums Leben gekommen ist. Daher ernenne ich Sie zum neuen Leiter von Korona.« Balts Unterkiefer klappte herunter, als er versuchte, die Worte des Oberbashars zu verdauen.
»Direktor Kinnis?«, fragte er mit schwacher Stimme. »Tot?«
Garon nickte. »Sie haben meine Erlaubnis, so viele richesische Spiegel an Bord meiner Schiffe zu bringen, wie Sie in der noch verbleibenden Zeit fortschaffen können – vorausgesetzt, Sie sagen mir, wo ich Ihr illegales Gewürzlager finde.«
Haloa Rund hatte sich immer noch nicht beruhigt. »Und was ist mit meinen Forschungen?«
»Gleichungen kann ich nicht verkaufen.«
Balt wand sich, während er offenbar überlegte, ob er lügen sollte oder nicht. »Ich vermute, Ihre Männer werden so lange in der Station wüten, bis Sie es gefunden haben. Also werde ich uns allen weitere Schwierigkeiten ersparen.« Er sagte dem Bashar, wohin er sich wenden musste.
»Es freut mich, dass Sie zur richtigen Entscheidung gelangt sind und das Vorhandensein von Melange bestätigt haben.« Er drückte auf einen Knopf an seiner Uniform und schickte damit ein Signal an sein Schiff. Wenige Augenblicke später kamen Soldaten mit Suspensorpaletten an Bord, auf denen sie Container mit atomaren Sprengsätzen beförderten. Garon wandte sich wieder an den Kahlkopf. »Sie dürfen so viel an Bord meiner Kampfkreuzer bringen, wie Sie können, und ich gestatte Ihnen, die Hälfte davon zu behalten.«
Balt war entsetzt über diese Bedingungen, aber klug genug, keine Einwände mehr zu erheben, und machte sich sofort an die Arbeit. Garon beobachtete amüsiert die Bemühungen der Techniker, als sie die zerbrechlichen Spiegel fortschafften. Es würde ihnen nicht gelingen, mehr als ein Zehntel des Schatzes in Sicherheit zu bringen. Haloa Rund eilte in sein Labor zurück, aber der Anführer der Sardaukar hatte den Befehl gegeben, dass seine Schiffe auf keinen Fall mit nutzlosen »Prototypen« belastet werden sollten.
Garon führte seine Männer in den Bereich, wo die Melange gelagert war. Soldaten mit Holorecordern dokumentierten das illegale Lager und sicherten die Beweise – für den Fall, dass der Imperator irgendwann welche benötigte –, bevor sie das Gewürz wegbrachten. Shaddam hatte diese Vorsichtsmaßnahme nicht ausdrücklich verlangt, aber der Bashar wusste, dass es nie schaden konnte, Beweise in der Hand zu haben.
Die Sardaukar-Infanterie deponierte die erste Ladung nuklearer Sprengköpfe im Kern des Satelliten. Zum Garon blickte auf sein Chronometer. Nur noch eine knappe Stunde.
* * *
Talis Balt hastete hin und her und stand kurz davor, erschöpft zusammenzubrechen. Schweiß glänzte auf seinem kahlen Schädel. Er und seine Männer hatten bereits eine überraschend große Menge der wertvollen Spiegel in das Sardaukar-Flaggschiff gebracht.
Auf einem Frachtdeck von Korona kauerte Haloa Rund weinend neben eilig zusammengepackten Kisten, die mit Handwaffen zerschossen worden waren. Als er darauf bestanden hatte, sie ins angedockte Flaggschiff zu tragen, hatten zwei Soldaten das Feuer eröffnet und die Nicht-Feld-Generatoren zerstört.
Als das Ultimatum ablief und der Oberbashar die Anweisung gab, sich aus dem Satelliten zurückzuziehen, stand Talis Balt an der Ladeschleuse und wartete darauf, an Bord des Schiffes gelassen zu werden.
In ruhigem Tonfall teilte Garon dem Wissenschaftler mit, dass er zurückbleiben musste. »Es tut mir Leid, aber es ist uns nicht gestattet, zivile Passagiere an Bord eines imperialen Militärschiffs zu nehmen. Sie müssen sich leider eine andere Transportmöglichkeit suchen.«
Die noch verbleibende Zeit würde nicht ausreichen, um Runds verwandtschaftliche Beziehung zu Graf Ilban Richese ins Spiel zu bringen. Und die Atomwaffen ließen sich nicht mehr deaktivieren.
* * *
Zehn Minuten vor dem festgelegten Zeitpunkt lösten sich alle imperialen Kampfschiffe vom Satelliten. Die zerstörten Hangars und Schleusen blieben dem Vakuum des Weltraums ausgesetzt. An Bord seines Flaggschiffs beobachtete Oberbashar Garon, wie seine Truppen ihre Aktionen mit militärischer Präzision durchführten.
Der Melangevorrat war nicht so umfangreich, wie der Imperator aufgrund seiner Informationen vermutet hatte. Dafür enthielten die unteren Frachträume eine große Menge richesischer Spiegel. Das beschlagnahmte Gewürz würden die Sardaukar ohne Verzögerung den Gildevertreter an Bord des wartenden Heighliners übergeben. Eine schamlose, aber sehr wirksame Bestechung.
* * *
Von der Oberfläche des Planeten blickte Premierminister Calimar auf den künstlichen Mond, der sich so groß am Himmel abzeichnete, dass die zurückweichende Sardaukar-Flotte winzig wirkte. Sein Magen war verkrampft und sein Herz gefroren, so wütend war er auf die Ungerechtigkeit der Taten Shaddams.
Wie hatte der Imperator erfahren, dass auf Korona Gewürz versteckt war? Nachdem er von Baron Harkonnen ausgezahlt worden war, hatte Calimar absolutes Stillschweigen gewahrt. Die Information konnte auf keinen Fall von den Harkonnens stammen, weil sie sonst damit rechnen mussten, dass man auch ihnen peinliche Fragen stellte ...
Als die Atomwaffen im Orbitallabor explodierten, erstrahlte grelles Licht am richesischen Himmel. Doch mit der Zeit wurde der Feuerball nicht schwächer, sondern vergrößerte sich in einer Kettenreaktion, als die zurückgebliebenen richesischen Spiegel zündeten. Die Fragmente breiteten sich in einer Wolke aus energiereichen Kristallsplittern aus, die wie die Trümmer einer Supernova durch die Atmosphäre regneten.
Am Boden starrten die Richesianer eines ganzen Kontinents in den Feuersturm, der sich über den Himmel ergoss. Die kostbaren Spiegel verglühten kreischend, als sie wie kleine Asteroiden in die Lufthülle eindrangen.
Calimar unterdrückte einen Schrei, aber er konnte nicht aufhören, das Bild der Verwüstung anzustarren. Das schreckliche Licht wurde immer heller. Viele Richesianer sahen in hypnotischem Entsetzen zu und konnten nicht fassen, was sich über ihren Köpfen abspielte.
Innerhalb der nächsten Tage würde ein Viertel der Bevölkerung von Richese infolge schwerer Netzhautschäden erblinden.